DANH VO

Vater, Sohn, Kunst

Wir haben Kunst gekauft. Es ist ein berühmtes Werk eines noch berühmteren Künstlers – ein Mann jener Sorte, dem das Guggenheim Museum eine Einzelausstellung widmet und dessen Werke an Auktionen Millionenbeträge erzielen. Es war ein Impulskauf, einfach so, weil wir davon gelesen haben und wir neugierig waren. Und nein, wir sind nicht pleite.

Der vietnamesisch-dänische Künstler Danh Vo experimentiert mit politischen Ideen, Geschichte und Haushaltsgegenständen. Er hat die amerikanische Freiheitsstatue nachgebaut, in 300 Teile zerlegt und einzeln verkauft, die Waschmaschine seiner Grossmutter ausgestellt und Bierkartons mit der US-Flagge vergoldet. «2.2.1861», das Werk, das in unserem Wohnzimmer hängt, ist die Abschrift eines Briefes aus dem 19. Jahrhundert, in dem der französische Missionar Jean-Théophane Vénard seinen Vater über seine bevorstehende Enthauptung unterrichtet. Der Transkribierer ist Phung Vo, der Vater des Künstlers, der den Brief im Auftrag seines Sohnes immer wieder neu abschreibt. Der alte Mann hat mittlerweile schon über 1200 Kopien gefertigt – und er wird weiterschreiben, solange er kann und mag.

Freunde, die vor dem eingerahmten Brief in unserer Stube stehen, fragen, ob wir mit dem verstorbenen Missionar verwandt sind. Wenn wir verneinen, schieben sie nach: «Ist das Kunst?» Was sie eigentlich fragen, ist: «Das ist nicht wirklich Kunst, oder?» Es ist eine Frage aus Unsicherheit. Niemand tut das je bei Michelangelo oder Vermeer – es ist immer die zeitgenössische Kunst, die sich rechtfertigen muss. Zugegeben, wir hätten «2.2.1861» wahrscheinlich auch nicht beachtet, hätte nicht das Guggenheim Danh Vo Anfang Jahr eine Ausstellung gewidmet. Seit der Brief bei uns hängt, sehen wir darin jeden Tag mehr.

Da ist die sorgfältige Handschrift und der poetische, fast schon fröhliche Schreibstil über eine makabre Hinrichtung. Der historische Hintergrund mit der französischen Kolonialisierung Vietnams. Die Tatsache, dass Phung Vo selber kein Französisch spricht und nur eine vage Idee davon hat, was er hier tausendfach kopiert. Der Brief vom Sohn an den Vater, abgeschrieben vom Vater für den Sohn. Und die Vorstellung eines alten Mannes, der in Dänemark vor einem Brief sitzt und diese Zeilen schreibt – ausdrücklich für uns. Es ist rührend, es ist irritierend, aber auch abscheulich, absurd und irgendwie manipulativ. Es fühlt sich an wie Kunst.

DANH VO, «2.2.1861»
300 Euro, Kunsthalle Basel

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